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"Wenn die Versorgung mit Generika auch neuerer Medikamente nicht garantiert
ist, werden die Kosten explodieren und die Programme weltweit zusammenbrechen."
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Wien, 30.November 2006
Ärzte ohne Grenzen
Die in den letzten Jahren gemachten Fortschritte bei der Behandlung von
Aids in Entwicklungsländern drohen durch eine neue Preisexplosion
zunichte gemacht zu werden. Wenn sich internationale Institutionen nicht
umgehend den Herausforderungen der durch Patente steigenden Behandlungskosten
stellen, werden diese Programme nicht dauerhaft finanzierbar sein, warnt
Ärzte ohne Grenzen.
Vor fünf Monaten hat die Weltgesundheitsorganisation WHO neue Behandlungsrichtlinien
für Aidsprogramme veröffentlicht. Bis heute hat die Organisation
keine Strategie vorgelegt, wie die von ihr empfohlenen neuen und erheblich
teureren Medikamente in ärmeren Ländern finanziert werden sollen.
Die jüngst von der WHO empfohlenen neuen und besseren Medikamente
für die Aidstherapie sind bis zu sechs mal teurer als die herkömmlichen
Wirkstoffe. Besonders kritisch ist die Situation für Patienten, die
wegen sich bildender Resistenzen mit einer komplett neuen Medikamentenkombination
- der sogenannten zweiten Therapielinie - behandelt werden müssen.
Ihre Therapie kann sich um den Faktor 50 verteuern.
“Pharmaunternehmen werden dieses Problem nicht lösen“,
sagt Tido von Schön-Angerer, Leiter der Medikamentenkampagne von
Ärzte ohne Grenzen. „Was wir brauchen, ist eine komplett neue
Strategie des Medikamentenzugangs. Die Aidsbehandlung in Entwicklungsländern
ist heute nur durch kostengünstige Nachahmerpräparate, so genannte
Generika, möglich. Wenn die Versorgung mit Generika auch neuerer
Medikamente nicht garantiert ist, werden die Kosten explodieren und die
Programme weltweit zusammenbrechen. Regierungen, Pharmaindustrie und internationale
Organisationen tun entschieden zu wenig, um diese Katastrophe aufzuhalten.“
Der Wettbewerb mit Generikaherstellern hat in den vergangenen Jahren zwar
dazu geführt, dass die Preise für einige Aidsmedikamente der
ersten Therapielinie von rund 10.000 US-Dollar auf 130 US-Dollar pro Patient
und Jahr gefallen sind. Da Schlüsselländer der Generikaproduktion
wie Indien jedoch seit dem Jahr 2005 Patentschutz auf Medikamente gewähren
müssen, wird sich diese Preisentwicklung für viele neuere Wirkstoffe
nicht wiederholen lassen.
Ärzte ohne Grenzen behandelt über 80.000 Patienten mit HIV/Aids
in 65 Projekten in mehr als 30 Ländern mit antiretroviralen Medikamenten.
Zahlen aus dem Programm von Ärzte ohne Grenzen in Südafrika
belegen, dass 17,4 Prozent der Menschen, die fünf Jahre behandelt
wurden, zur zweiten Therapielinie wechseln mussten, da sich Resistenzen
bildeten. In Malawi, wo Ärzte ohne Grenzen10.000 Patienten mit antiretroviralen
Medikamenten behandelt, werden voraussichtlich beinahe 20 Prozent innerhalb
von drei Jahren zu anderen, neueren Medikamenten wechseln müssen.
Dies wird 80 Prozent des gesamten Behandlungs-Budgets ausmachen.
Auf Aids-Medikamente kann heute in Entwicklungsländern nur deshalb
zurückgegriffen werden, weil leistbare Generika verfügbar sind.
"Die Behandlungsprogramme werden aber fehlschlagen, wenn keine kontinuierliche
Verfügbarkeit auch von Generika neuerer Medikamente garantiert ist.“
Daher, so Schön-Angerer, "brauchen wir dringend eine Auseinandersetzung
mit dem internationalen Patentschutz“. „Es wäre fatal,
Spenden- und Entwicklungshilfegelder für künstlich überteuerte
Medikamente zu verschwenden. Internationale Organisationen, Geberländer
und Industrie müssen ihre Strategien gründlich überprüfen,
um weltweiten Zugang zur Aids-Behandlung zu verwirklichen.“
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