Dr. Anton Petter, Médecins du Monde
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„We have upside-down access to AIDS drugs in this world. The drugs are where the disease is not, and the disease is where the drugs are not.”

Peter Mugyenyi,
Joint Clinical Research Center in Kampala/ Uganda

Fairer Zugang zu Medikamenten
Gedanken bezüglich HIV/AIDS im weltweiten Kontext

Ich war über zwei Jahre in Sachen HIV unterwegs in Afrika und bin wohl einer der wenigen, die zusätzlich HIV-Behandlung im westlichen Umfeld formal gelernt haben. Als ich 1994 an der HIV-Station der Uniklinik Innsbruck begonnen habe, konnten wir vielfach nicht mehr tun, als die Hände von Sterbenden zu halten; mit anderen Worten: es war reine Palliativmedizin.

Im November 1995, ich erinnere mich noch genau, kam dann mit Saquinavir die erste Substanz aus der Gruppe der Proteasehemmer und damit auch die Dreifachtherapien. Sie waren anfangs ungeheuer kompliziert zu nehmen (bis zu 20-30 Tabletten täglich in 8stündlichen Intervallen); aber die, die es geschafft haben, sind quasi von der Intensivstation wieder zum Bergsteigen gegangen. In der Folge ging es Schlag auf Schlag und mitterweile haben wir 15 wirksame HIV-Medikamente zugelassen in Österreich. Die Einnahmemodalitäten wurden stark vereinfacht und man kann heute mit meist 2-4 Tabletten pro Tag erfolgreich behandeln.

In Österreich hat es bis zum Ende der 90er Jahre (also ungeheuer lange) gedauert, bis sich das Wissen um die Behandelbarkeit der HIV-Infektion langsam durchsetzen konnten – die Szene wurde von Mythen, Hokuspokus, Angst und Stigmatisierung dominiert; teilweise gibt es heute noch Ärzte, die glauben, der Umgang mit HIV/AIDS-Patienten sei gefährlich und die Betroffenen unvermeidbar zum Tode verurteilt.

In Afrika wurde Notwendigkeit und die Machbarkeit der HIV-Therapien erst seit 1-2 Jahren akzeptiert. Organisationen, wie Ärzte ohne Grenzen, die 2001 mit den ersten Behandlungsprogrammen begonnen haben, wurden von den großen staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen (USAID, GZZ etc.) als „Cowboy“ und idealistische Spinner gesehen. Millionen von Dollar wurden in Prevention-only-Programme gepumpt, die nie wirklich funktioniert haben! Mit Ausnahme der thailändischen 100% Condom Campaign, die eine klare Zielgruppe (nämlich sex workers) ansprach, gibt es kein einziges HIV-Präventionsprogramm mit dokumentiertem Erfolg. Sogar der oft zitierte „Ugandan success“ kam wahrscheinlich eher durch selektives Missinterpretieren und Frisieren von Daten als durch wahren Rückgang der Neuinfektionen zustande (siehe Artikel im Lancet von Parkhurst letztes Jahr).

Noch im Jahr 2001, als ich Mitglied des Tansanischen CCM (Country Coordinating Mechanism) für den Global Fund war, enthielten nur 2 von 30 eingereichten Proposals einen Therapieteil (unser eigenes und das von AMREF). Wir kämpften wie die Löwen, dass die zum Schreiben des gemeinsamen Country Proposals als Consultants angeheuerten „Experten“ aus den USA dies beim Gesamtkonzept für das Land berücksichtigen.

All dem trägt die WHO jetzt Rechnung mit ihrer „3 by 5 Initiative“ (3 Mio. Behandlungen bis zum Jahr 2005). HIV-Behandlung wird endlich als Teil des HIV-Gesamtpaketes gesehen – d.h. kanpp 10 Jahre, nachdem die HIV-Dreifachtherapie als „State of the Art“ in der westlichen Welt erfolgreich etabliert wurde, ist nun endlich auch von „offizieller“ Stelle festgehalten, dass das, was bei uns gilt, auch in Afrika gilt.

Man stelle sich TB-Programme ohne TB-Medikamente vor! Genau das jedoch ist mit HIV/AIDS jahrelang passiert. Das scheint sich nun zu ändern. Legionen von Politikern, Development-Aid-Managern, US-Senatoren, WHO-Repräsentanten und Sponsoren haben letztes Jahr unser Projekt in Khayelitsha/Südafrika besucht, um zu schauen, wie man HIV eigentlich behandelt und was man wirklich dafür braucht. Ich war der „medical tourist guide“ und bewerte es als äußerst positiv, dass nach fast 10 Jahren die globale Verdrängung nun überwunden scheint.

Als Hindernisse bleiben jedoch weiterhin:

  • Unwissen von Entscheidungsträgern in EZA-Organisationen
  • Mangelnder Wille der Weltgemeinschaft, zu bezahlen
  • Wirtschaftsinteressen und die Verpolitisierung von AIDS
  • Was ist damit gemeint? Als Ausreden derer, die nicht behandeln wollten oder konnten (gemeint sind nicht nur Geldgeber, sondern auch und vor allem Development-Aid-Organisationen) wurden und werden systematisch und erfolgreich folgende Mythen verbreitet:

    Mythos Nr. 1: Die Behandlung ist zu teuer.
    Mythos Nr. 2: Afrikaner können die komplizierte Therapie nicht korrekt einnehmen.
    Mythos Nr. 3: Eine komplizierte medizinische Infrastruktur ist zum Behandeln und für die Bekämpfung von Nebenwirkungen notwendig.

    Alle diese Punkte sind mittlerweile widerlegt und der Kampf der Wirtschaftslobby und der Pharmaindustrie ums große Geld ist voll entbrannt. Wenn die WHO 3 Millionen Menschen behandeln will, reden wir beim heutigen Preis von US$ 30,- pro Patient und Monat von immerhin rund einer Milliarde US$ jährlich (allein Medikamentenkosten). Keiner ist derzeit bereit, das zu bezahlen, weil Afrika keine Gegenleistungen zu bieten hat. So wird es wohl weiter die Situation geben, wie sie Peter Mugyenyi vom Joint Clinical Research Center in Kampala/Uganda so treffend formuliert hat:

    „We have upside-down access to AIDS drugs in this world. The drugs are where the disease is not, and the disease is where the drugs are not.”


    Dr. Anton Petter, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit Spezialgebiet HIV/AIDS, arbeitet seit Dezember 2001 für die französische Organisation „Médecins du Monde“ in Bukoba, Tansania. Statement anlässlich des Internationalen Studientags „AIDS begegnen“ am 26./27.2.2004 in Wien